Mittwoch 12.15 Uhr, das Lernstudio ist prall gefüllt. An den Gruppentischen sitzen 60 Schülerinnen und Schüler und haben ihre Mathematikhefte, Taschenrechner und Bücher ausgepackt. Heute sind so viele gekommen, weil in den nächsten Tagen eine Mathematik-Vergleichsklausur geschrieben wird, und hier im Lernstudio findet im Rahmen der BASIS-Stunde das „SOS-Lernbüro Mathematik“ statt.

 Seit eineinhalb Jahren gibt es die Basis-Stunde im Wechsel mit der Tutorenstunde in der Mitte der Woche zwischen 12.10 und 13.30 Uhr. Sofern keine Klassengeschäfte anliegen, steht den Schülerinnen und Schüler aller Jahrgangsstufen im Rahmen der BASIS-Stunde eine Vielzahl von Beratungs-, Fach- und Zusatzangeboten zur Auswahl. Je nach Bedarf oder Interesse wählen die Schülerinnen und Schüler von Woche zu Woche verschiedene Kurse aus einem offenen Unterrichtsangebot aus.

 Im SOS-Lernbüro Mathematik geht eine Schülergruppe die Inhalte der letzten Stunden durch. Ein Lehrer beantwortet ihnen Fragen zu einem Problem, dass sie im Unterricht nicht verstanden haben. Dann geht er zum Nachbartisch, an dem gerade ein Referat vorbereitet wird. Gut, dass neben drei Mathematiklehrern auch einige Leistungskursschüler anwesend sind, denn schon am nächsten Tisch werden verschiedene Fragen zu den Hausaufgaben gestellt, die individuell beantwortet werden wollen. Die Beteiligung von Schülern an der Leitung der Angebote ist ein wesentlicher Baustein des Konzeptes.
Die Pädagogen erleben eine intensive und hoch motivierte Arbeitsatmosphäre. Mitunter werden sie fachlich stark gefordert und die Schülerinnen und Schüler stellen amüsiert fest, dass ihre Lehrer auch nicht jedes Problem spontan beantworten können. Umso mehr Spaß macht es dann gemeinsam eine Lösung zu finden.
Draußen auf dem Schulhof wird keine Mathematik gelernt. Ein Schüler, der in seiner Freizeit Parkour betreibt, hat zwischen zwei Bäumen eine Slackline gespannt. Er hat das Projekt selber angemeldet und übt mit einer interessierten Schülergruppe das Balancieren. Im nächsten Raum kann man Ansätze der Sizilianischen Verteidigung sehen. Eine spannende Schachpartie zwischen Schüler und Lehrer wird hier geboten. Naturgemäß werden dem Schüler die Daumen fester gedrückt. Aus dem großen Musiksaal ist laute Musik zu hören. Es wird Hip Hop getanzt und eine Choreografie finalisiert.

Das Konzept der BASIS-Stunde ist ein Ergebnis eines durch das Kultusministerium geförderten Forschungsprojektes der Herderschule und benachbarter Schulen: „Individuelles Lernen in schulorganisatorisch implementierten subjektorientierten Lernumwelten“ kurz: „Umgang mit Heterogenität in der gymnasialen Oberstufe“ *1). Maßgeblich wurden für viele Fächer Unterrichtskonzepte erarbeitet, welche eine Individualisierung des Lernprozesses ermöglichen. Daneben wurde nach systemischen Lösungen gesucht individuelle Förder- und Vertiefungsangebote außerhalb des Unterrichts zu schaffen, die den unterschiedlichen Lernständen und Lerngeschwindigkeiten der Schülerschaft Rechnung tragen. Für die Einführungsphase wurden in Anlehnung an die Konzeption des Oberstufenkollegs Bielefeld in den Hauptfächern Mathematik, Französisch, Englisch und Deutsch Brückenkurse eingerichtet. Diese einjährigen Kurse werden von Schülerinnen und Schülern nach Feststellung ihres Förderbedarfs durch die abgebende Mittelstufenschule besucht. Nach einer zweijährigen Erprobung der Brückenkurse, musste festgestellt werden, dass auch innerhalb dieser Kurse noch eine große Heterogenität unter den Kursteilnehmern besteht und nicht alle Schüler erreicht werden, welche einen Förderbedarf haben.
Im Rahmen einer pädagogischen Tagung im Jahr 2012 wurde nach einer Erweiterung gesucht, den Schülern aller Jahrgangsstufen ergänzend zum regulärem Unterricht für möglichst viele Fächer einen Rahmen zu schaffen, in dem sowohl fördernde als auch vertiefende Angebote platziert werden können. Vorbild war auch hierbei ein „Lernbüro Mathematik“, das am Oberstufenkolleg Bielefeld etabliert war.
Im Rahmen des Projektes „Heterogenität in der gymnasialen Oberstufe“ wurde der Blick auch auf außerunterrichtliche Einflussfaktoren des Schulerfolgs gerichtet. Eine wissenschaftliche Studie, die von einer Forschungsgruppe der Universität Bielefeld durchgeführt wurde, hat deutlich gemacht, dass die bestehenden Angebote zur Laufbahn-, Berufs- und individuellen Beratung an der Herderschule von den Schülerinnen und Schülern nur in geringem Umfang wahrgenommen wurden.*2) Auf der erwähnten pädagogischen Tagung entstand die Idee, die Beratungsangebote zu bündeln und parallel zu fachlichen Angeboten zu platzieren. So entstand schließlich das Konzept der BASIS-Stunde mit den drei Schwerpunkten: Beratungsangebote, Fach-/Förderangebote und Zusatzangebote. Dabei steht BASIS für Beratung, Autonomie, Selbständigkeit, Informationen und Stärken.
Die Beratungsangebote umfassen z.B. eine schulische Laufbahnberatung, ein Bewerbungstraining, das Training von Medien- und Präsentationskompetenzen sowie eine Studien- und Berufsberatung.
Die Säule der Fachangebote enthält die SOS-Lernbüros verschiedener Unterrichtsfächer und fachbezogene Kurse, wie z. B. „DELF“, „Methoden und Verfahren der Kunst“ oder „Language Practice: Translation“. Im Januar und Februar werden Angebote zur Abiturvorbereitung ergänzt.
 Im Bereich der Zusatzangebote sind z.B. „Yoga“, „Entspannungsübungen“, „Stimmproben“, „Vorbereitung des Holocaust-Gedenktags“ oder „Allwetterjoggen“ vertreten. Aus dieser unvollständigen Auflistung wird die Vielseitigkeit der BASIS-Stunde deutlich.

Die Erfahrungen der bisherigen Umsetzung des Konzeptes sind positiv. Es sind gewinnbringende Lehr-Lern-Arrangements zwischen Schülerinnen und Schülern, auch unterschiedlicher Jahrgänge entstanden. Lernende und Lehrende kommen in außerunterrichtlichen Situationen zusammen und lösen gemeinsam  verschiedenste Probleme.
In einer ersten Evaluation zur BASIS-Stunde sagt die Schülerin Sina, dass es „eine gute Wiederholung parallel zu ihrem Unterricht sei“ und eine „gute Vorbereitung auf das Abitur“. Sie selbst lerne viel daraus, wenn sie die Fragen der jüngeren Schüler beantworten könne. Sie lerne dabei, sich auszudrücken und jüngeren Schülern Sachverhalte zu erklären. Besonders gut findet sie, dass die Arbeitsatmosphäre immer spaßig und locker und nicht zu streng ist.

Vielleicht ist das Nebeneinander von intensivem Arbeiten an verschiedenen Problemfeldern und Entspannung in den unterschiedlichsten Angeboten ein entscheidender Grund dafür, dass die Akzeptanz für dieses Konzept immer größer wird und die Schülerinnen und Schüler in der Evaluation zum Ausdruck gebracht haben, dass sie die BASIS-Stunde nicht wieder hergeben wollen.

Benjamin Jeske & Dr. Johannes Werner

Fußnoten:
*1) Schäfer, S./ Schloßhauer, G./ Werner, J. (2013): „Individuelles Lernen in schulorganisatorisch implementierten subjektorientierten Lernumwelten“. Abschlussbericht zum Projekt. Unveröffentlichtes Manuskript. Kassel:   Landesschulamt und Lehrkräfteakademie für den Landkreis und die Stadt Kassel.
*2) Boller, S./Holz, S./Möller, M./Müller, M./Palowski, M. (2011): Individuelle Förderung durch Rückstufung in der Oberstufe? Subjektiv bedeutsame Schulerfahrungen und ihre Verarbeitung durch Schüler/innen. Abschlussbericht der Forschungsgruppe Heterogenität zur Albert-Schweitzer-Schule Hofgeismar, zur Herderschule Kassel und zum Oberstufen-Kolleg Bielefeld. Unveröffentlichtes Manuskript. Bielefeld: Wissenschaftliche Einrichtung Oberstufen-Kolleg.

 

Hier ein paar Impressionen zur Organisation der BASIS-Stunde an der Herderschule:

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